Das Pro­jekt Lern­welt Hoch­schu­le hat seit 01.01.2017 einen struk­tu­rier­ten und sys­te­ma­ti­sier­ten Über­blick über den Ist-Zustand der Hoch­schul­welt in Deutsch­land unter der Per­spek­ti­ve der Stu­die­ren­den­ori­en­tie­rung erfasst. Der Fokus liegt hier­bei dar­auf, Good Prac­ti­ce-Bei­spie­le, Pro­blem­stel­lun­gen und Lösungs­an­sät­ze her­aus­zu­ar­bei­ten und wei­te­re Bedar­fe zu eruieren.

Aus­gangs­la­ge:

Gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen haben gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf Bil­dung und ins­be­son­de­re auf Hoch­schu­len. Hoch­schu­len reagie­ren mit sehr unter­schied­li­chen Stra­te­gien dar­auf. Zen­tra­le Ver­än­de­rungs­di­men­sio­nen sind dabei:  die Inten­si­vie­rung der Inter­na­tio­na­li­sie­rung, die zuneh­men­de Bedeu­tung von Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien und die stär­ke­re Ver­net­zung zwi­schen Hoch­schu­len und mit der Umwelt. Als Her­aus­for­de­run­gen erwei­sen sich dabei eine hete­ro­ge­ne­re Stu­die­ren­den­struk­tur, ver­än­der­te Finan­zie­rungs­struk­tu­ren, ver­än­der­te Stu­die­ren­den- und Leh­ren­den­rol­len, die zuneh­men­de Bedeu­tung neu­er Lehr­me­tho­den, Ver­än­de­run­gen bei den Lern­in­fra­struk­tu­ren und die grö­ße­re Auto­no­mie der Hoch­schu­len. Die­se Ver­än­de­rungs­pro­zes­se tan­gie­ren alle Berei­che der Hochschulen.

Die Anfor­de­run­gen bezo­gen auf die Bil­dung der Stu­die­ren­den haben sich vor allem im Hin­blick auf die Ver­mitt­lung der 21st Cen­tu­ry Skills grund­le­gend ver­än­dert. Des­halb lau­tet eine der zen­tra­len Fra­ge, wie vor die­sem Hin­ter­grund eine stär­ke­re Stu­die­ren­den­ori­en­tie­rung umge­setzt wer­den kann? Um die­se Fra­ge umfas­send beant­wor­ten zu kön­nen, wur­den im Rah­men des Pro­jek­tes Lern­welt Hoch­schu­le fünf Berei­che beson­ders in den Blick genommen:

  • Hoch­schul­po­li­tik
  • Hoch­schul­or­ga­ni­sa­ti­on
  • Hoch­schul­di­dak­tik
  • Digi­ta­le Strukturen
  • Phy­si­sche Lehr- und Lernräume

Hin­ter­grund die­ser Struk­tur bil­de­te die Über­le­gung, dass die Her­aus­for­de­run­gen neue didak­ti­sche Kon­zep­te, wie z.B. Pro­jekt­ar­beit, erfor­dern, die auch einer ver­än­der­ten Unter­stüt­zungs­struk­tur in der Hoch­schu­le zei­tigt, die sich an den Bedar­fen von Stu­die­ren­den für das Ler­nen in ver­än­der­ten Lern­ar­ran­ge­ments ori­en­tiert. Dies betrifft nicht nur die räum­li­che Situa­ti­on der Ler­nen­den, son­dern auch die Gestal­tung von E‑Lear­ning-Ange­bo­ten, die das fle­xi­ble Ler­nen, unab­hän­gig von Ort und Zeit unterstützen. 

Dazu bedarf es aber auch fle­xi­bler Raum­struk­tu­ren, um den Ler­nen­den in ihren Selbst­stu­di­en die Mög­lich­keit zur Grup­pen­ar­beit in Form von Bespre­chun­gen, digi­ta­ler Auf­ga­ben­be­ar­bei­tung als Grup­pe, Kon­zep­ti­on, etc. aber auch zur Ein­zel­ar­beit zu bie­ten. Die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung zeigt, dass Räu­me nicht nur phy­si­ka­lisch fle­xi­bel zur Durch­füh­rung unter­schied­li­cher Set­tings im Rah­men von Lehr­ver­an­stal­tun­gen nutz­bar sein, son­dern auch für digi­ta­le und hybri­de Nut­zung gestal­tet wer­den müssen.

Dies wirkt sich auch auf die Hoch­schu­le als Orga­ni­sa­ti­on aus –hier wer­den neue Kon­zep­te gebraucht, wel­che die gesam­te Hoch­schu­le als inte­gra­ti­ven Lern­raum eta­blie­ren, und nicht addi­tiv und in Ein­zel­be­rei­che seg­men­tiert, wie es bis­her bei vie­len Hoch­schu­len Usus ist. Stan­den bis­her Raum­kon­zep­te, das Ver­füg­bar­ma­chen von Infor­ma­tio­nen und die Bereit­stel­lung von tech­ni­schen Hilfs­mit­teln im Vor­der­grund, so muss die Hoch­schu­le heu­te – als mul­ti­di­men­sio­na­le Orga­ni­sa­ti­on – kom­ple­xen Anfor­de­run­gen mit viel­fäl­ti­gen Lern­set­tings, Ser­vice­leis­tun­gen und ver­än­der­ten Rah­men­be­din­gun­gen begeg­nen. Dies erfor­dert ein Zusam­men­spiel der Berei­che der Hoch­schu­le, wie Infra­struk­tur, Biblio­thek, Didak­tik­zen­trum, IT-Abtei­lung, Rechen­zen­trum, Stu­die­ren­den­ver­wal­tung und natür­lich der Leh­ren­den und Lernende.

Oft­mals ent­ste­hen durch die Unab­hän­gig­keit und das auto­no­me Agie­ren die­ser Ein­rich­tun­gen und dem dar­aus resul­tie­ren­den feh­len­den Zusam­men­spiel Par­al­lel­struk­tu­ren, die zu erheb­li­chen Erschwer­nis­sen und ver­mehr­ten (dop­pel­ten Auf­wän­den) füh­ren, da z.B. Ser­vice­leis­tun­gen, die gebün­delt wer­den könn­ten von meh­re­ren Ein­rich­tun­gen ange­bo­ten wer­den. Zustän­dig­kei­ten und Arten der Zusam­men­ar­beit blei­ben für die Stu­die­ren­den unklar und es ent­steht unnö­ti­ge Unsi­cher­heit und das Gefühl der Über­for­de­rung. Nicht die Stu­die­ren­den und ihr Stu­di­en­weg ste­hen im Fokus der Hoch­schu­le, son­dern die Per­spek­ti­ve liegt auf den Struk­tu­ren und Ein­rich­tun­gen der Orga­ni­sa­ti­on. Hoch­schul­in­tern fehlt oft­mals ein Top-Bot­tom-Ansatz in Form einer Gesamt­stra­te­gie bezo­gen auf die Gestal­tung der Lern­welt Hoch­schu­le, um die gesam­te Hoch­schu­le zu koor­di­nie­ren, steu­ern und stra­te­gisch wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, damit die Stu­die­ren­den opti­mal bei der Bewäl­ti­gung ihrer Auf­ga­ben unter­stützt wer­den können.

Um die Gestal­tung die­ser Pro­zes­se zu unter­stüt­zen und es den Betei­lig­ten zu erleich­tern, die­sen Her­aus­for­de­run­gen begeg­nen zu kön­nen, bedarf es eines fun­dier­ten und struk­tu­rier­ten Über­blicks über die Hoch­schul­land­schaft Deutsch­lands, sowie eines Über­blicks über mög­li­che Pro­blem­stel­lun­gen und denk­ba­rer Lösungs­an­sät­ze für die sinn­vol­le, ganz­heit­li­che Lern­welt­ge­stal­tung und der dafür not­we­ni­gen Struk­tu­ren und Prozesse.

Das Vor­ge­hen:

Um den Ist-Zustand der Lern­welt Hoch­schu­le in Deutsch­land zu erhe­ben wur­den fol­gen­de Schwer­punk­te gesetzt:

Ana­ly­se hoch­schul­po­li­ti­scher Papiere

Im Rah­men des Pro­jek­tes wur­den neben den Län­der­ge­set­zen, Struk­tur- und Ent­wick­lungs­plä­ne sowie Leit­bil­der deut­scher Hoch­schu­len im Hin­blick auf Stu­die­ren­den­ori­en­tie­rung analysiert.

Befra­gung aller Hoch­schu­len in Deutschland

Es wur­de ein Fra­ge­bo­gen ent­wi­ckelt, der alle rele­van­ten Aspek­te der vier Berei­che Hoch­schul­or­ga­ni­sa­ti­on, Hoch­schul­di­dak­tik, digi­ta­le Struk­tu­ren und phy­si­sche Lehr- und Lern­räu­me umfass­te. Im Rah­men eines Pre-Tests wur­de deut­lich, dass der Gesamt­fra­ge­bo­gen zum einen nicht von einer Ein­zel­per­son voll­stän­dig bear­bei­tet wer­den konn­te, ohne, dass zunächst Rück­spra­che mit den Berei­chen gehal­ten wer­den muss­te. Zum ande­ren wur­de auch deut­lich, dass die Anzahl der Fra­gen deut­lich zu hoch war. Daher wur­de der Fra­ge­bo­gen inhalt­lich in vier Ein­zel­fra­ge­bö­gen auf­ge­teilt und fol­gen­de Ansprechpartner/innen dafür an den Hoch­schu­len iden­ti­fi­ziert. Für den Bereich Hoch­schul­or­ga­ni­sa­ti­on wur­den die Hoch­schul­lei­tun­gen kon­tak­tiert, für den Bereich digi­ta­le Struk­tu­ren die Lei­tun­gen der IT-Abtei­lun­gen, für den Bereich phy­si­sche Lehr- und Lern­räu­me sowohl die Lei­tun­gen der Infra­struk­tur­ab­tei­lun­gen, wie auch die Lei­tun­gen der Biblio­thek. Der The­men­be­reich Hoch­schul­di­dak­tik wur­de in den Fra­ge­bo­gen an die Hoch­schul­lei­tun­gen inte­griert, da dort die zen­tra­le orga­ni­sa­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung für die Leh­re ver­or­tet ist.

Aus­wahl von Good-Pratice

Die Ergeb­nis­se der Befra­gung wur­den anhand von Good Prac­ti­ce-Kri­te­ri­en in ein Ran­king gebracht und die Hoch­schu­len, wel­che mehr als 50 % Good Prac­ti­ce-Indi­ka­to­ren erreich­ten, bil­de­ten das Stich­pro­ben-Pool für die Leit­fa­den-Inter­views, wel­che die quan­ti­ta­ti­ven Daten ergän­zen sollten.

Leit­fa­den-Inter­views mit zen­tra­len Akteu­rin­nen und Akteuren

Um ein umfas­sen­des Bild der Lern­welt Hoch­schu­le zu erhal­ten, wur­den zen­tra­le Akteu­rin­nen und Akteu­re auf der Ebe­ne der Hoch­schul­or­ga­ni­sa­ti­on befragt. So war es mög­lich Pro­blem­stel­lun­gen, Bedar­fe und Lösungs­mög­lich­kei­ten, die aus der jewei­li­gen Per­spek­ti­ve wahr­ge­nom­men wur­den, mit ein­zu­be­zie­hen. Inter­viewt wur­den Hoch­schul­lei­tun­gen, Lei­tun­gen der Biblio­the­ken sowie der IT- und Infrastrukturabteilungen.

Stu­die­ren­de in Fall­stu­di­en im Fokus

Wei­ter­hin wur­de die Per­spek­ti­ve der Stu­die­ren­den mit Fall­stu­di­en ein­be­zo­gen.  In fünf Fall­stu­di­en wur­den Grup­pen­dis­kus­sio­nen mit Stu­die­ren­den der jewei­li­gen Hoch­schu­le geführt. Im Rah­men die­ser Fall­stu­di­en wur­de eben­falls eine Cam­pus­be­ge­hung durch­ge­führt und Inter­views mit den Prorektoren/innen/Vizepräsidenten/innen Leh­re geführt, um einer­seits einen tie­fe­ren Ein­blick in die Leh­re zu erhal­ten und ande­rer­seits die Per­spek­ti­ve derer zu erhal­ten, die von den rele­van­ten Maß­nah­men pro­fi­tie­ren soll­ten. Fra­ge­stel­lun­gen waren hier unter ande­rem: Kom­men die Maß­nah­men über­haupt bei den Stu­die­ren­den an? Wo sind noch blin­de Fle­cken, sei­tens der Hoch­schu­le? Wie wer­den Stu­die­ren­de in Ent­schei­dungs­pro­zes­se eingebunden?

Um auch einen Blick von außen auf die Lern­welt Hoch­schu­le in Deutsch­land zu erhal­ten, wur­den Exper­ten/in­nen-Inter­views durch­ge­führt, die wei­te­re Hand­lungs­fel­der aufzeigten.

Ziel der Befra­gung der inter­na­tio­na­len Exper­ten war es, die Hoch­schul­welt in Deutsch­land auf einer Meta-Ebe­ne zu betrach­ten, und das Gesamt­sys­tem aus der inter­na­tio­na­len Per­spek­ti­ve zu beleuch­ten. Wie machen ande­re Hoch­schu­len das? An wel­chen Stel­len hat die deut­sche Lern­welt Hoch­schu­le noch Hand­lungs­be­dar­fe, und nicht zuletzt: Wo wer­den Lösungs­mög­lich­kei­ten und Good Prac­ti­ce-Bei­spiel gese­hen, die für die deut­sche Lern­welt Hoch­schu­le inter­es­sant sein könnten?

Ergeb­nis­se

  • Die Ver­än­de­rungs­be­dar­fe der Hoch­schu­len wur­den erkannt. Die größ­ten Ver­än­de­run­gen sind im Bereich Digi­ta­li­sie­rung feststellbar.
  • Der Ein­be­zug von Stu­die­ren­den bei der stra­te­gi­schen Ent­wick­lung von Hoch­schu­len ist als aus­bau­fä­hig zu sehen. Nur 7 % der Befrag­ten aus der Online-Befra­gung gaben an, Stu­die­ren­de einzubeziehen.
  • Stu­die­ren­de wer­den durch Gre­mi­en in die stra­te­gi­schen Ent­schei­dun­gen eingebunden.
  • Die Koope­ra­ti­on und die Kom­mu­ni­ka­ti­on der ein­zel­nen Abtei­lun­gen beru­hen zumeist auf indi­vi­du­el­len Absprachen.
  • Lang bestehen­de, tra­dier­te Struk­tu­ren wer­den sel­ten hin­ter­fragt (Öff­nungs­zei­ten, Essen und Trinken, …).
  • Die Fle­xi­bi­li­sie­rung des Stu­di­ums fin­det statt (Locke­rung der Studiengangstrukturen)
  • Es gibt ers­te Koope­ra­tio­nen zur gemein­schaft­li­chen Gestal­tung des phy­si­schen Lehr- und Lernraums.
  • Ers­te Cam­pus-Manage­ment-Sys­te­me zur Inte­gra­ti­on zen­tra­ler Diens­te wer­den ein­ge­führt, Hoch­schul-Apps wer­den entwickelt.
  • Prä­senz­leh­re hat quan­ti­ta­tiv immer noch den höchs­ten Anteil an der Leh­re (> 80 %).
  • In den Ziel­ver­ein­ba­run­gen spielt Digi­ta­li­sie­rung die größ­te Rol­le. Zur Hoch­schul­di­dak­tik oder zum phy­si­schen Lehr- und Lern­raum lie­gen kaum Fund­stel­len vor.
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Die The­men sind zwar erkannt wor­den und deren Bear­bei­tung wird mehr oder min­der stark von den Hoch­schu­len vor­an­ge­trie­ben, den­noch wur­de deut­lich, dass es in den meis­ten Fäl­len an einer hoch­schul­wei­ten Gesamt­stra­te­gie man­gelt. Meis­tens wer­den die Hand­lungs­be­rei­che iso­liert von­ein­an­der betrach­tet. Zur­zeit wer­den an ein­zel­nen Hoch­schu­len indi­vi­du­el­le Lösun­gen erprobt und ent­wi­ckelt. Es bleibt abzu­war­ten, ob die­se auf ande­re Hoch­schu­len trans­fe­rier­bar sind. auch zeigt die Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on der Stra­te­gie­um­set­zung eine sehr gro­ße Viel­falt auf.

Zur Ein­bin­dung der Stu­die­ren­den bedarf es neu­er Ideen, um die Par­ti­zi­pa­ti­on und somit das Ver­ständ­nis für die Lern­welt Hoch­schu­le, die Struk­tu­ren und Pro­zes­se und den Gestal­tungs­wil­len sei­tens der Stu­die­ren­den zu stei­gern. Oft unter­schei­det sich die prak­ti­zier­te Leh­re von der, die ange­strebt wird. Die­se Dis­kre­panz zwi­schen IST und SOLL beruht zum einen auf einer Gen­ra­ti­ons­the­ma­tik und zum ande­ren an dem schnel­len Tech­no­lo­gie­wan­del, der durch die Struk­tu­ren und Pro­zes­se der Orga­ni­sa­ti­on Hoch­schu­le in der Umset­zung gebremst wird. Wäh­rend im Aus­land längst ver­än­der­te Stra­te­gien der Gestal­tung der Lern­welt Hoch­schu­le umge­setzt wer­den, ist man in Deutsch­land noch auf der Suche. Anfän­ge sind gemacht, doch der Main­stream ist eher noch im Verharrensmodus.