Input & Vorträge
Future Higher Education
26.10.2021; online
Sie können diesen Artikel am Ende des Textes auch als PDF herunterladen.
Einleitung
Das Projekt „Lernwelt Hochschule 2030“ führte am 26./27.10.2021 die Konferenz: „Future Higher Education“ durch, die als Ergänzung zu den Veranstaltungen des Projektes „Lernwelt Hochschule“ die internationale Perspektive fokussierte. Die Veranstaltung wurde von Dr. Sybille Reichert (Reichert Consulting: Policy and Strategy Development in Higher Education) moderiert und von der Dieter-Schwarz-Stiftung finanziert. Leider musste die Konferenz, der Corona-Pandemie geschuldet, online stattfinden.
Input
Der erste Tag der Konferenz bot den Teilnehmenden internationalen Input und die Ergebnisse des Forschungsprojektes Lernwelt Hochschule 2030.
Alexandra Becker (Hochschule der Medien Stuttgart, Projekt „Lernwelt Hochschule) fasste die Ergebnisse von vier Workshops mit Entscheiderinnen und Entscheidern, Expertinnen und Experten, ministerialen Vertreterinnen und Vertretern, Studierenden und weiteren Stakeholdern zusammen. Hierbei standen mehrere herausfordernde Felder im Fokus: die Hochschuldidaktik, die Professionalisierung und Qualifizierung der Lehrenden, die neuen Lehr- und Lernformate, der Kulturwandel und die physischen Lehr- und Lernräume. Gleichzeitig zeigte Frau Becker auch Ideen und Ansätze auf, wie den Herausforderungen begegnet werden könne. So kann zum Beispiel dem Ungleichgewicht zwischen der Gewichtung von Lehre und Forschung damit begegnet werden, dass der Lehre eine größere Bedeutung eingeräumt wird: Lehrenden die Möglichkeit zu bieten, mit guter Lehre zu glänzen, in den Bleibeverhandlungen die Lehre stärker zu gewichten oder auch in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen den Punkt Qualität der Lehre stärker einzubeziehen. Hierfür ist es jedoch erforderlich einen Kriterienkatalog zu entwickeln, der die qualitativen Merkmale guter Lehre bestimmen hilft.
Zur Weiterentwicklung und Professionalisierung der Lehrenden wurde in den Projektworkshops vorgeschlagen, neuberufene Lehrende zur Teilnahme an Qualifizierungsangeboten zu verpflichten oder auch – gleich dem Forschungssemester – ein Weiterbildungssemester „Lehre“ zu ermöglichen, doch dieses muss rechtlich und auch finanziell abgesichert werden. Auch ist es möglich, „lehrmüde“ Lehrende zu motivieren, indem Hochschulen ein Bonus-Programm oder ein Belohnungssystem etablieren, in dem innovative Formate gewürdigt werden.
Deutlich wurde ebenfalls, dass Innovation zu fördern mit Herausforderungen behaftet ist. Um dies zu erleichtern, gilt es Ermöglichungsräume – physisch, mental und organisatorisch – zu schaffen und auch Scheitern als ein Ergebnis anzuerkennen und dieses nicht mit Sanktionen zu behaften. Hilfreich ist es auch, die Räume, die nicht explizit der Lehre gewidmet sind, mit in die Neu- oder Umgestaltung einzubeziehen; dies verringert zum einen die Spaltung zwischen den Personengruppen und zum anderen steigert es die Glaubwürdigkeit der angestrebten Veränderung.
Daran anschließend entwickelte Prof. Dr. Dominic Orr (Senior Advisor Digital Transformation at GIZ, Past Coordinator of the International Foresight Study on the Future of Higher Education AHEAD des Hochschulforums Digitalisierung) in seiner Präsentation „New Learning Pathways in an Open and Digital World – What might the Education Landscape look like in 2030?“ neue Perspektiven auf die Hochschulen als Institutionen. Er plädiert dafür, die Lernwege der Menschen neu zu überdenken und die Rolle der Hochschulbildung neu zu konturieren, um damit sicherzustellen, dass alle Mitglieder der Gesellschaft an der tertiären Bildung teilhaben können. Um zu verhindern, dass Studierende in einer eigenen gesellschaftlichen, geschlossenen Blase, einem Ökosystem, verharren, schlägt er vor, dass die Ausrichtung von Studiengängen permanent reflektiert wird, um auf gesellschaftliche und den Arbeitsmarkt betreffende Entwicklungen reagieren zu können. Lernende müssen sich die Kompetenzen und Fähigkeiten aneignen (können), um von der „digitalen Dividende“ der Hochschulen profitieren zu können. Auch sollten Hochschulen ein Ort der zukünftigen sozialen Reformen sein, um alle an den Vorteilen der Digitalisierung zu beteiligen. Hierfür bietet die Digitalisierung die Chance neue Lehr- und Lernräume zu schaffen und die Zugänglichkeit und die Qualität von Bildungsangeboten zu verbessern, um allen Menschen Zugang zu tertiärer Bildung zu ermöglichen.
Michael Gaebel (European University Association, Director of Higher Education Policy Unit) stellte in seinem Vortrag „Transforming Learning and Teaching at European Higher Education Institutions“ Überlegungen zu den Veränderungen an, die die Corona-Pandemie ausgelöst hat. Er stellte auf der Grundlage von Umfragedaten von Hochschuleinrichtungen in ganz Europa die Erkenntnisse und die langfristig zu erwartenden Veränderungen hinsichtlich des „Hybrid Campus“ vor. So zeigte Gaebel in seinem Vortrag, dass 70 Prozent der Befragten das digitale Lernen als strategisches Element priorisieren, es aber andererseits bei 41 Prozent noch hochschulintern in der Diskussion ist, wie dieses in der Qualitätssicherung einzubinden sei. Grundsätzlich stellt er fest, dass die Unterstützung und die Koordination digitaler und hybrider Lehre ein zentrales Thema in den Institutionen ist und die gesamte Hochschule an dieser Entwicklung teilhat. Weiter beschreibt Gaebel ermöglichende und hemmende Faktoren der digital angereicherten Lehre: Als ermöglichende Faktoren werden proaktiv vorgehende Studierende, professionelle Entwicklung und Training der Kompetenzen und institutionelle Strategien gesehen. Als Hemmnisse: Personalmangel, ein Mangel an externen Finanzierungsmöglichkeiten und die Herausforderung ein gemeinsames Motto zu entwickeln, welches alle Angehörigen der gesamten Hochschule mittragen können. Als Lösungen schlägt er vor, den Austausch zwischen den Peergruppen zu fördern, nationale und internationale Weiterbildungsangebote zu nutzen und institutionelle Daten zu sammeln und zu analysieren. Zudem schlägt er zur Weiterentwicklung der Lehre vor, die Karrieren in der Lehre über die Entwicklung neuer Karrieremodelle zu unterstützen und die Professionalisierung der Lehrenden dahingehend zu entwickeln, dass der Fokus auf Teamarbeit und Kollaboration gelegt wird. Hinsichtlich der Innovation der Lehre könnte die Analyse von institutionellen Untersuchungen und weiterer Informationen zu einer belegbaren positiven Entwicklung beitragen.
Spezifischer in die Hochschuldidaktik vertiefte Prof. Dr. Peter Ruijten-Dodoiu (TU/e Eindhoven) die Perspektive mit seinem Vortrag „The Innovation Space at TU/e (TU Eindhoven): Center of Expertise and Vision for Challenge-Based Learning (CBL) and Student Entrepreneurship“, in dem er einen der Kurse aus dem Kompetenzzentrum für Challenge-Based Learning (CBL) vorstellt, der im Innovation Space angeboten wird. Hierbei wird der Fokus auf eine bessere Integration von Wissen und Kompetenzen gelegt, die innerhalb des Kurses mit Experimenten unterlegt werden, um ein besseres Verständnis für die Inhalte zu erlangen. Dazu gehört auch das ISBET, ein Inter-Programm (Kurs) für die finalen Bachelor Projekte. Dies wird aus interdisziplinär zusammenarbeitenden Studierenden als Kleingruppe von 3–6 Studierenden bearbeitet, erstreckt sich über 15 ECTS, dauert ein Semester lang und bietet den Studierenden sowohl akademisches Coaching wie auch Reflexionsmöglichkeiten mit anderen Mitwirkenden im Innovation Space. Die Studierenden werden angehalten, Verbesserungen zu entwickeln und dies bedeutet aus Sicht der Studierenden für die „Challenge“/die Projektaufgabe eine „open-end-challenge“. Aus der Sicht der Institution ist es wichtig, die Rollen und Verantwortlichkeiten abzustimmen, die Lernziele (Outcomes) und die Bewertungskriterien zu klären, da diese in dieser Lehr- und Lernform stark auf der Reflexion der Studierenden mit den (akademischen) Coaches und den Projekt-Peers beruhen. Die jeweiligen Entwicklungen der Studierenden lassen sich in einer vierstufigen Skala (Anfang bis Fortgeschritten) einordnen, die die projektrelevanten Kategorien beschreiben und dadurch einen Vergleich zwischen Projektbeginn und ‑abschluss ermöglichen.
Prof. Dr. Anna Valtonen (Aalto University, Finland) richtete in ihrem Vortrag „Design and Change in Academia“ den Blick darauf, dass Hochschulen ein Ort der Studierenden und auch der Zukunft sind und damit die Studierenden sehr viel stärker an den Entscheidungen der Hochschule zu beteiligen sind, denn es sei ihre Zukunft, die jetzt gestaltet wird. Sie betont die transformative Rolle von Design und die Verwendung von Designpraktiken bei der Schaffung von Diskussionen und Akzeptanz in verschiedenen Arten von Gemeinschaften und Organisationen. Viele dieser Theorien, wie Transition Design, Behavior Design und Social Design, werden durch eine wachsende Zahl von Forschungen und Publikationen unterstützt. Sie zeigt anhand einiger praktischer Beispiele aus ihrer eigenen Erfahrung auf, dass Menschen die Welt durch Visionen, Experimente und Zusammenarbeit gemeinsam verändern und die Zukunft gestalten können. Damit wurde deutlich, dass ein designgetriebener Wandel eine Transformation und den damit einhergehenden Kulturwandel unterstützen kann, der alle Mitglieder der akademischen Gemeinschaft erreicht und so ermöglicht, dass Ideen gedeihen und über die anfänglichen Initiativen hinauswachsen können. Eine solche Kultur aufzubauen ist nie einfach – und kann auch nicht von Einzelnen allein realisiert werden.